Zur Freistellung des Arbeitnehmers bei Krankheit des eigenen Kindes

BAG, Urteil vom 19. April 1978 – 5 AZR 834/76

1. Bedarf ein im Haushalt des Arbeitnehmers lebendes Kind unter acht Jahren wegen einer Erkrankung nach ärztlichem Zeugnis der Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege des Arbeitnehmers, weil eine andere im Haushalt des Arbeitnehmers lebende Person hierfür nicht zur Verfügung steht, kann der Arbeitnehmer, der diese Pflege und Betreuung übernimmt, nach BGB § 616 Abs 1 S 1 vom Arbeitgeber Weiterzahlung des Arbeitsentgeltes beanspruchen, sofern seine Verhinderung nur eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit andauert. Ein Zeitraum bis zu fünf Arbeitstagen, wie er in Fällen dieser Art im allgemeinen nur in Betracht kommt, ist in aller Regel als verhältnismäßig nicht erheblich im Sinne von BGB § 616 Abs 1 S 1 anzusehen.

2. Der Arbeitnehmer kann für die ersten Tage der Erkrankung eines solchen Kindes im allgemeinen nicht darauf verwiesen werden, daß außerhalb des Haushalts lebende Personen das Kind pflegen oder betreuen könnten.

3. Arbeitsrechtliche Ansprüche nach BGB § 616 Abs 1 S 1 werden durch RVO § 185c, der für diese Fälle einen sozialversicherungsrechtlichen Anspruch auf (Pflege-) Krankengeld gewährt, weder ausgeschlossen noch eingeschränkt. Der sozialversicherungsrechtliche Anspruch nach RVO § 185c besteht nur subsidiär, soweit der Arbeitnehmer nicht schon nach arbeitsrechtlichen Bestimmungen Arbeitsentgelt beanspruchen kann. Das von der Krankenkasse zur einstweiligen wirtschaftlichen Sicherung des Arbeitnehmers gezahlte (Pflege-) Krankengeld darf auf den weiterzuzahlende Lohn nicht angerechnet werden.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 3. November 1976 – 3 Sa 108/76 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

Die Klägerin fordert von der Beklagten – gestützt auf den gesetzlichen Forderungsübergang nach § 185 c Abs. 2 Satz 2 RVO i. V. mit § 182 Abs. 10 RVO – den Lohn, der den bei der Beklagten beschäftigten Arbeiterinnen G A und L Z nach § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB für zwei Tage zustehen soll, an denen sie ihre kranken Kinder gepflegt haben.

Die bei der Klägerin versicherten Frauen G A und L Z sind bei der Beklagten als Arbeiterinnen beschäftigt. Frau G A blieb am 6. und 7. April 1976 der Arbeit fern, weil sie ihr drei Jahre altes erkranktes Kind betreuen und pflegen mußte. Frau L Z konnte am 14. und 15. April 1974 wegen ihres sechs Jahre alten erkrankten Kindes nicht arbeiten. Die Beklagte lehnte die Lohnfortzahlung für diese vier Tage ab. Daraufhin gewährte die Klägerin Frau G A ein Pflege-Krankengeld von 62,48 DM und Frau L Z ein Pflege-Krankengeld von 48,78 DM. Mit der vorliegenden Klage fordert die Klägerin diese Beträge von der Beklagten. Sie hat den entsprechenden Zahlungsantrag gestellt.

Die Beklagte hat Abweisung der Klage beantragt. Sie hat sich auf den Standpunkt gestellt, Ansprüche der Arbeiterinnen gegen die Klägerin nach § 185 c RVO gingen den arbeitsrechtlichen Lohnansprüchen vor. Zumindest seien die Leistungen der Klägerin nach § 616 Abs. 1 Satz 2 BGB auf die Lohnforderungen anzurechnen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter, während die Klägerin um Zurückweisung der Revision bittet.


Entscheidungsgründe

Die Vorinstanzen haben mit Recht der Klage stattgegeben. Den Arbeiterinnen A und Z standen die geltend gemachten Lohnansprüche nach § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB zu; sie sind auf die Klägerin übergegangen (§ 185 c Abs. 2 Satz 2 RVO i. V. mit § 182 Abs. 10 RVO).

I. Durch § 185 c Abs. 1 RVO werden arbeitsrechtliche Ansprüche der Arbeiter nach § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB weder ausgeschlossen noch eingeschränkt.

1. Nach § 185 c RVO erhalten Versicherte Krankengeld – ein sog. Pflege-Krankengeld –, wenn es nach ärztlichem Zeugnis erforderlich ist, daß sie zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege eines erkrankten Kindes der Arbeit fern bleiben müssen, eine andere im Haushalt des Versicherten lebende Person die Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege nicht übernehmen kann, und wenn das Kind das 8. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.

Aus dem gleichen Grund kommen auch arbeitsrechtliche Ansprüche nach § 616 Abs. 1 BGB in Betracht. Der Arbeitnehmer kann von seinem Arbeitgeber die Weiterzahlung des Lohnes verlangen, wenn er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird.

2. Der in § 185 c RVO geregelte sozialversicherungsrechtliche Anspruch besteht nur subsidiär. Die Bestimmung gewährt Ansprüche nur, soweit der Versicherte nicht schon wegen des in dieser Vorschrift geregelten Sachverhalts nach arbeitsrechtlichen Bestimmungen Lohn beanspruchen kann. Das ergibt sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte dieser mit Wirkung vom 1. Januar 1974 in die Reichsversicherungsordnung eingefügten Norm.

a) § 185 c RVO räumt dem Versicherten unter den im einzelnen genannten Voraussetzungen einen Anspruch auf Pflege-Krankengeld ein. Dieser Geldanspruch reicht allein nicht aus, um den mit dem Gesetz erstrebten Zweck zu erreichen. Zu dem gegen die Krankenkasse gerichteten Geldanspruch tritt nach § 185 c Abs. 3 Satz 1 RVO ein arbeitsrechtlicher Anspruch des versicherten Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung. Unbezahlte Freistellung braucht der versicherte Arbeitnehmer jedoch nur in den Fällen in Anspruch zu nehmen, in denen ein Anspruch auf bezahlte Freistellung nicht besteht. Deshalb enthält § 185 c Abs. 3 Satz 1 RVO auch insoweit eine Einschränkung. Das zeigt: Der Gesetzgeber geht davon aus, daß solche arbeitsrechtlichen Ansprüche auf bezahlte Freizeit bestehen, und daß sie den arbeitsrechtlichen Ansprüchen auf unbezahlte Freistellung, die ihrerseits den sozialversicherungsrechtlichen Anspruch auf Gewährung von Pflege-Krankengeld ergänzen, vorgehen. Nur soweit die volle arbeitsrechtliche Absicherung nicht erreicht wird, kommt es auf den weniger weitgehenden arbeitsrechtlichen Anspruch auf unbezahlte Freistellung in Verbindung mit dem sozialversicherungsrechtlichen Anspruch auf Krankengeld an.

Das gleiche Verhältnis der Subsidiarität bringt auch § 185 c Abs. 2 Satz 2 RVO zum Ausdruck, der die entsprechende Anwendung des § 189 RVO vorschreibt. Unmittelbar gilt § 189 RVO für das Krankengeld des erkrankten Versicherten: Wenn und soweit der Versicherte während der Krankheit Arbeitsentgelt erhält, ruht der Anspruch auf Krankengeld. Für die Krankenversicherung war bisher unbestritten, daß der sozialversicherungsrechtliche Anspruch danach nur subsidiär eingreift. Das wird durch die Verweisung auf § 189 RVO auch für das Pflege-Krankengeld bestimmt: Der Anspruch auf Gewährung eines Pflege-Krankengeldes ruht, wenn und soweit der versicherte Arbeitnehmer Arbeitsentgelt beanspruchen kann. Schließlich ist auch nur bei diesem Verständnis des § 185 c RVO die Verweisung auf § 182 Abs. 10 RVO (§ 185 c Abs. 2 Satz 2 RVO) sinnvoll. Für den Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit gewährt die Krankenkasse Krankengeld zur einstweiligen wirtschaftlichen Sicherung des Arbeitnehmers, auch wenn dieser einen arbeitsrechtlichen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts hat, der Arbeitgeber diesen Anspruch jedoch nicht erfüllt. Durch den in § 182 Abs. 10 RVO angeordneten gesetzlichen Forderungsübergang wird sichergestellt, daß der Arbeitgeber letztlich im Rahmen der arbeitsrechtlichen Bestimmungen über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für die wirtschaftliche Sicherung des Arbeitnehmers aufzukommen hat. Damit wird wiederum der subsidiäre Charakter des sozialversicherungsrechtlichen Anspruchs deutlich. Für den Anspruch auf Pflege-Krankengeld nach § 185 c RVO will der Gesetzgeber das gleiche System der sozialen Sicherung. Ein solches System setzt das vorrangige Bestehen arbeitsrechtlicher Ansprüche zwingend voraus.

b) Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich ebenfalls mit aller Deutlichkeit, daß der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 185 c RVO von der Weitergeltung aller arbeitsrechtlichen Lohnfortzahlungsansprüche ausging, so wie sie vor Erlaß dieser Bestimmung bestanden. Arbeitsrechtliche Ansprüche sollten nicht aufgehoben oder eingeschränkt werden. Im Bericht des Abgeordneten Geiger (BT-Drucks. 7/1039 – zu 3 (S. 3 f.)) heißt es:

„Zu … § 185 c des Gesetzentwurfs bestand die Auffassung, daß durch die vorgesehene Regelung anderweitige, vor allem tarifvertragliche oder gesetzliche Ansprüche auf Weiterzahlung des Lohnes und auf Freistellung von der Arbeit wegen des gleichen Tatbestandes nicht berührt werden. Durch den vorgeschlagenen § 185 c Abs. 2 Satz 2 RVO ist sichergestellt, daß die Krankenkasse auch dann mit Krankengeld eintritt, wenn der arbeitsrechtliche Anspruch auf Weiterzahlung des Lohnes zweifelhaft ist. Den Versicherten kommt auf jeden Fall die Leistung der Krankenkasse zu, auf die gegebenenfalls gegen den Arbeitgeber bestehende Ansprüche übergehen.“

So ist der Gesetzgeber auch allgemein verstanden worden (vgl. z. B. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, Stand November 1977, § 185 c RVO, Anm. 7, 4. Abs.; Krauskopf/Schröder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, Stand April 1976, § 185 c Anm. 5; Schmatz-Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, Stand August 1975, P 611; Brill, AR-Blattei, D, Arbeitsausfall IV, A (C IV D I E); Gerlach, Wege zur Sozialversicherung 1974, 49 (62 zu 3.4.2); Picard, DOK 1974, 2 (13)).

3. Das von der Krankenkasse zur einstweiligen wirtschaftlichen Sicherung des Arbeitnehmers gezahlte Pflege-Krankengeld darf auch nicht auf den arbeitsrechtlichen Lohnfortzahlungsanspruch nach § 616 Abs. 1 Satz 2 BGB angerechnet werden. Das wäre mit dem dargelegten System der sozialen Sicherung nicht zu vereinbaren. Die Krankenkasse tritt nur vorläufig ein, wie der für entsprechend anwendbar erklärte § 182 Abs. 10 RVO bestimmt, nämlich solange der Arbeitgeber seiner Verpflichtung zur wirtschaftlichen Sicherung der Arbeitnehmer in diesen Pflegefällen nicht nachkommt. Erst wenn feststeht, daß keine arbeitsrechtlichen Ansprüche bestehen, ist die Krankenkasse im Rahmen des § 185 c RVO endgültig zu Leistungen verpflichtet.

Die Rechtslage entspricht auch in diesem Punkt der gesetzlichen Regelung für die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers selbst. Die Anrechnungspflicht des § 616 Abs. 1 Satz 2 BGB ist für diese Fälle gegenstandslos geworden (BAG 1, 338 (339 f.) = AP Nr. 2 zu § 616 BGB; Erman-G. Küchenhoff, BGB, 6. Aufl., § 616 RdNr. 67). Gerade dies hat der Gesetzgeber auch für die Pflegefälle des § 185 c RVO gewollt. Ob nicht eine rein sozialversicherungsrechtliche Lösung des Problems der Pflegefälle besser gewesen wäre – auch im wohlverstandenen Interesse des begünstigten Personenkreises (in aller Regel ist das bisher die Mutter) – mag hier dahingestellt bleiben. Die sozialversicherungsrechtliche Lösung hätte den Vorzug, daß Lasten gleichmäßig verteilt würden. Die Rechtslage ist jedoch eindeutig: Soweit ein arbeitsrechtlicher Anspruch auf bezahlte Freistellung besteht, geht er vor.

II. Die auf § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB gestützten Ansprüche der Arbeiterinnen A und Z waren begründet; sie sind auf die Klägerin übergegangen.

1. Die Arbeiterinnen A und Z sind an jeweils zwei Tagen der Arbeit deshalb ferngeblieben, weil sie ihre erkrankten Kleinkinder betreuen und pflegen mußten. Im Haushalt dieser Arbeiterinnen gab es keine anderen Personen, die an den fraglichen Tagen die Betreuung und Pflege der Kinder hätten übernehmen können. Bei diesem Sachverhalt sind alle Voraussetzungen des § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB erfüllt.

a) Zwar kann ein Arbeitnehmer nach § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB nur dann Lohnfortzahlung verlangen, wenn er durch einen in seiner Person liegenden Grund an der Dienstleistung verhindert ist. Unmittelbar beruht hier die Arbeitsverhinderung nicht auf einem Umstand, der in der Person der Arbeiterinnen A und Z begründet ist. So einschränkend darf die Bestimmung aber nicht verstanden werden. Das Gesetz will nur klarstellen, daß sich alle Verhinderungsgründe auf denjenigen Arbeitnehmer beziehen müssen, der Lohnfortzahlung verlangt, nicht auf einen größeren Kreis von Arbeitnehmern. Es muß sich bei den in § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB genannten Verhinderungsgründen immer um subjektiv persönliche Hindernisse handeln (für viele: Staudinger-Nipperdey-Mohnen-Neumann, BGB, 11. Aufl., § 616 RdNr. 9 ff. (11); Palandt-Putzo, BGB, 37. Aufl., § 616 Anm. 2). In dieser Hinsicht bestehen im vorliegenden Fall keine Bedenken; die Krankheit der Kinder war im Sinne dieser Bestimmung ein subjektiv persönliches Hindernis.

b) Wegen dieser Erkrankung ihrer Kleinkinder waren beide Arbeiterinnen an zwei Tagen an der Arbeitsleistung verhindert im Sinne von § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB. Ein Arbeitnehmer ist nicht nur dann an der Dienstleistung verhindert, wenn die Arbeitsleistung objektiv unmöglich wird. Dieser objektiven Unmöglichkeit stehen Fälle gleich, in denen die Dienstleistung dem Arbeitnehmer nicht zuzumuten ist (BAG 9, 179 (182) = AP Nr. 23 zu § 616 BGB (zu 2 b der Gründe); BAG AP Nr. 43 zu § 616 BGB (zu 2 der Gründe)). Schwere Erkrankung eines nahen Angehörigen kann ein solcher Verhinderungsgrund sein; das ist allgemeine Meinung der Literatur (vgl. für viele: Staudinger-Nipperdey-Mohnen-Neumann, aaO, § 616 RdNr. 10; BGB – RGRK – Denecke, 11. Aufl., § 616 Anm. 10; Soergel-Siebert-Wlotzke-Volze, BGB, 10. Aufl., § 616 RdNr. 8; A. Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. I, 7. Aufl., § 44 III, S. 328 und § 34 IV 2, S. 221; Nikisch, Arbeitsrecht, 1. Bd., 3. Aufl., § 43 II 1, S. 613 und § 43 I 2 S. 611). Bei Erkrankung eines Kleinkindes ist die Arbeitsleistung dem Arbeitnehmer dann nicht zuzumuten, wenn Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege geboten sind und andere im Haushalt des Arbeitnehmers lebende Personen nicht zur Verfügung stehen. In solchen Fällen darf der Arbeitnehmer von der Arbeit fern bleiben. Er kann, sofern auch die weiteren Voraussetzungen des § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB gegeben sind, Weiterzahlung des Lohnes beanspruchen. Dabei muß sich der Arbeitnehmer aber um andere Pflegemöglichkeiten kümmern, wenn er mit einer länger dauernden Erkrankung rechnen muß; er muß den Arbeitsausfall zu begrenzen suchen (BAG 9, 179 (182) = AP Nr. 23 zu § 616 BGB (zu 2 b der Gründe)). Im allgemeinen wird deshalb in Fällen der vorliegenden Art dem Arbeitnehmer die Arbeitsleistung nur für die ersten Tage unzumutbar sein. Die vom Gesetzgeber in § 185 c RVO getroffene Regelung kann dabei einen Anhaltspunkt liefern. Diese Vorschrift gibt dem Versicherten Anspruch auf Pflege-Krankengeld für längstens fünf Arbeitstage im Kalenderjahr für jedes Kind. Auch dieser Bestimmung liegt der Gedanke zugrunde, daß der Versicherte bei länger dauernden oder mehrfachen Erkrankungen eines Kindes für eine andere Betreuung sorgen muß. Wie die arbeitsrechtliche Lage bei wiederholten Erkrankungen des Kindes in einem Kalenderjahr ist, braucht nicht entschieden zu werden. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, daß die beiden Arbeiterinnen in dem jeweiligen Kalenderjahr bereits Lohnfortzahlung wegen Erkrankung ihres Kindes in Anspruch genommen hätten.

Für die ersten Tage der Erkrankung eines noch nicht acht Jahre alten Kindes kann der Arbeitnehmer in der Regel nicht auf außerhalb des Haushalts lebende Pflegepersonen verwiesen werden. Gerade zu Beginn einer Erkrankung ist eine Betreuung und Pflege durch Dritte, zu denen das Kind bisher keine Beziehung hatte, nicht sachgemäß. Auch § 185 c RVO mutet dem Versicherten nicht zu, während der Schutzfrist nicht im eigenen Haushalt lebende Personen zur Pflege und Betreuung des Kindes heranzuziehen. Soweit die Voraussetzungen dieser Bestimmung vorliegen, besteht deshalb im allgemeinen auch ein arbeitsrechtlichen Lohnanspruch nach § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB.

c) Die Arbeiterinnen, die je während zwei Arbeitstagen die Arbeit versäumt haben, waren auch für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit im Sinne von § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB an der Arbeitsleistung verhindert (vgl. hierzu BAG (GS) 8, 314 (322) = AP Nr. 22 zu § 616 BGB (zu B II der Gründe)). Ein Zeitraum bis zu fünf Arbeitstagen, wie er in Fällen der erörterten Art im allgemeinen nur in Betracht kommt, ist in aller Regel als verhältnismäßig nicht erheblich anzusehen, und zwar unabhängig von der Dauer des Arbeitsverhältnisses. Insoweit ist eine einheitliche Beurteilung geboten.

d) Dafür, daß die Arbeiterinnen ihre Arbeitsverhinderung schuldhaft herbeigeführt hätten, gibt es keine Anhaltspunkte. Soweit es dabei um angeblich unterbliebene Vorsorge für mögliche Krankheitsfälle geht, ist dies keine Frage des Verschuldens. Ob und inwieweit Vorsorge möglich ist, muß entschieden werden, wenn nach der Vermeidbarkeit der Arbeitsverhinderung gefragt wird. Diese ist objektive Anspruchsvoraussetzung. Nur bei unvermeidbarer Arbeitsverhinderung besteht ein Anspruch nach § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB. Daß für die ersten Tage einer plötzlich auftretenden Erkrankung der Arbeitnehmer im allgemeinen keine Vorsorge in der Form zu treffen braucht, daß er Pflege und Betreuung durch außerhalb des Haushalts lebende Personen sicherstellt, wurde bereits dargelegt.

2. Die Ansprüche sind weder durch Tarifvertrag noch einzelvertraglich abbedungen worden. Es braucht deshalb nicht entschieden zu werden, ob dies rechtlich möglich wäre (vgl. zu dieser Frage das Urteil des Senats vom 7. Juni 1978 in der ebenfalls am 19. April 1978 verhandelten Rechtssache 5 AZR 466/77).

3. Die Lohnansprüche für jeweils zwei Arbeitstage sind in Höhe des an die Arbeiterinnen gezahlten Pflege-Krankengeldes auf die Klägerin nach § 182 Abs. 10 RVO übergegangen. Die Beklagte muß die der Höhe nach unstreitigen Lohnforderungen erfüllen. Ihre Revision ist daher nicht begründet.

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